Angstzustände
"Angst ist für das Überleben unverzichtbar." - Hannah Arendt
Angststörungen gehören laut WHO zu den häufigsten psychischen Erkrankungen und nehmen ohne Behandlung oft einen chronischen Verlauf als Depressionen.
Vorerst sei aber gesagt, dass Angst ein ganz normales Gefühl wie Traurigkeit, Freude, Ärger oder Wut ist und überlebenswichtig. Hätten wir keine Angst, würden wir uns ständig lebensgefährlichen Situationen aussetzen. Die Angst schützt uns davor, gefährliche Dinge zu tun. Sie ist ein biologisch festgelegtes Alarmsignal (Kampf-Flucht-System) wie Fieber oder Schmerzen. Angst in geringem Ausmaß ist anspornend und leistungsfördernd. Übermäßige Angst hingegen blockiert unser Denken, Fühlen und unsere Konzentration- und Leistungsfähigkeit, wir können unsere Fähigkeiten nicht optimal entfalten und beeinträchtigen daher unseren beruflichen und sozialen Alltag und hindern uns am Erfolg.
Fritz Riemann schreibt in seinem Buch „Grundformen der Angst“ folgendes:
„Wenn wir Angst einmal ohne Angst betrachten, bekommen wir den Eindruck, dass sie einen Doppelaspekt hat: einerseits kann sie uns aktiv machen, andererseits kann sie uns lähmen. Angst ist immer ein Signal und eine Warnung bei Gefahren, und sie enthält gleichzeitig einen Aufforderungscharakter, nämlich den Impuls, sie zu überwinden. Das Annehmen und das Meistern der Angst bedeutet einen Entwicklungsschritt, lässt uns ein Stück reifen. Das Ausweichen vor ihr und vor der Auseinandersetzung mit ihr, lässt uns dagegen stagnieren; es hemmt unsere Weiterentwicklung und lässt uns dort kindlich bleiben, wo wir die Angstschranke nicht überwinden.“
Wenn objektiv keine Gefahr für den Organismus besteht, dann wird Angst als unpassend bezeichnet.
In meiner psychotherapeutischen Praxis begegnen mir Ängste im Grunde bei jeder Form von seelischer Störung. Sie treten entweder isoliert auf und beherrschen das ganze Bild, wie etwa die Angst vor bestimmten Situationen. Oder sie treten in Kombination mit vielfältigen anderen Beschwerden auf. Häufig kombiniert sich Angst mit Depression. Auch Angst als Verursacher von Sucht ist nicht selten. Die Angst hat zahlreiche Gesichter und Erscheinungsformen.
Oft verbirgt sich Angst auch hinter vielfältigen psychosomatischen Beschwerden bis hin zu Schmerzen die dann in ihrer direkten Verknüpfung mit einer zu Grunde liegenden Angst nicht richtig erkannt werden. Diese Tatsache hat mit einer schützenden Tendenz der Psyche zu tun, die unbewusst die Angst möglichst nicht ins Bewusstsein eindringen lassen möchte, sondern sie zu isolieren trachtet. Auf dieser Basis funktionieren die berühmten unbewussten Abwehrmechanismen, wie etwa die Projektion oder die Verdrängung.
Ängste sind teils angeboren und teils sozial vermittelt oder erlernt. Die erlernten Ängste sind das Resultat traumatischer Erfahrungen in der Kindheit oder Jugend. Viele dieser traumatischen Erfahrungen brennen sich tief in unser Gedächtnis ein und blockieren und behindern uns noch als erwachsene Menschen.
Es ist ein unrealistisches Ziel, völlig angstfrei zu sein
So sehr verständlich auch der Wunsch eines Menschen mit stark ausgeprägten und sehr einschränkenden Ängsten ist, ist ein angstfreies Leben keine Option, da gefährlich. Lernen mit der Angst richtig umzugehen, sie in das Gefühlsleben zu integrieren und sich nicht mehr vor der Angst zu fürchten ist das angestrebte Ziel. Denn wie schon erwähnt ist Angst ein ganz normales Gefühl. Sie ist ein Schutzmechanismus, ein angeborenes Alarmsystem, das richtig dosiert sein muss. Wie bei einer Alarmanlage erzeugt auch hier eine zu hoch eingestellte Empfindlichkeit Fehlalarm.
Alle Arten von Ängsten können als Bindungsstörungen aufgefasst werden, es ist lediglich die unterschiedliche Repräsentation von Ängsten, die im Vordergrund steht und Leidensdruck verursacht und somit den Weg für eine Psychotherapie ermöglichen kann. Leidensdruck ist generell ein wichtiger Katalysator für Veränderung.